Wenn man beim Wandern durch die Wälder der Region streift, stößt man mitunter auf einen Stein, in dessen fast ebene Oberfläche geheimnisvoll anmutende Zeichen eingeritzt sind. Diese gleichen meist der eines Blattes, zeigen also eine mittlere Hauptrille, in die von beiden Seiten Nebenrillen münden, den Rippen eines Blattes entsprechend.
Was so manchen Wanderer vor ein Rätsel stellt, sind Zeugen eines ganz besonderen Kulturgutes in Oberösterreich. Im östlichen Mühlviertel wurden und werden diese Steine zum Pechölbrennen genutzt. Eine Handwerkskunst mit bedeutender Geschichte, die nicht nur seit 2013 als immaterielles Kulturerbe der UNESCO hoch geschätzt wird.
Früher, als die Bevölkerung keinen Arzt zur Verfügung hatte, wurde "der Heilsam" nahezu als Allheilmittel verwendet. Bei Zerrungen oder Verletzungen von Mensch und Tier bewies das Pechöl mit seiner antiseptischen Wirkung seinen Ruf als "Apotheke des Baumes".
Doch nach und nach ging das Wissen um die althergebrachte Handwerkskunst des Pechölbrennens verloren. Ärzte waren plötzlich durch die zunehmende Mobilität leichter erreichbar und die traditionelle Volksmedizin verlor mehr und mehr an Bedeutung. Dadurch konnte sich die Gewinnung des Heilsamen auch hierzulande nicht als fortlaufende Tradition erhalten. Doch vergessen ist das Pechölbrennen nicht.
Dafür sorgt einerseits Hermann Sandner aus Kefermarkt, der sich für die Aufnahme als immaterielles Weltkulturerbe der UNESCO bemühte und damit im Jahr 2013 Erfolg hatte - oder Fritz Frühwirt aus St. Leonhard, der nach wie vor im kleinen Kreis Pechöl brennt und sein Wissen bereitwillig an andere weitergibt. Wie an Mario Thauerböck, der dadurch das Wissen um die Gewinnung des schwarzen Goldes wiedererlangt hat und nun regelmäßig auf dem Pechölstein vor seinem Biohof in Kaltenberg die Handwerkskunst ausübt. Und das ist es wahrlich: Pechölbrennen ist eine Kunst für sich.
Um das altbewährte Hausmittel zu brennen, nutzt man die im Mühlviertel typischen Granitsteine.
Zum Pechölbrennen werden übrigens nur harzreiche Auswüchse von Föhren, ferner Kernstücke von Wurzelstöcken und auch zerkleinertes harzreiches Föhrenholz verwendet.
Warum nur dieses Holz verwendet wird, liegt daran, dass andere Bäume ihr Harz nach außen abgeben, sobald sie verletzt sind. Föhre und Lärche schützen ihre Bruchstellen innen mit Hartz - sind also richtig harzreich und genau diese Stellen sucht der Pechölbrenner!
Holz aufspalten und auf dem Pechölstein dicht zusammenstellen.
Mit Fichtenästen sorgfältig abdecken.
Mit Rasenziegeln abdecken und durch eine Zündöffnung anbrennen.
Das harzreiche Holz wird dann pyramidenförmig - nach Art eines Kohlenmeilers – aufgeschlichtet, sorgfältig mit Fichtenästen zugedeckt und mit Rasenstücken und Erde abgedichtet. Nach altem Brauch wird der Meiler zu Mittag, also bei Sonnenhöchststand angezündet, und zwar am oberen Rand des schräg liegenden Steines. Danach wird das Feuer 24 Stunden lang schweigend ernährt. Durch den Sauerstoffmangel kann das aufgeschichtete Holz nicht verbrennen, sondern verqualmt langsam und dabei wird durch die Hitze, das Harz als Pechöl „ausgeschwitzt“.
Das abtropfende Öl fließt in die Rillen zum tiefer liegenden Ende des Steines. Dort wird entweder ein Loch gebohrt oder die Rinne bleibt offen bis zur Felskante und ein Auffanggefäß wird untergestellt. Der hierbei gewonnene „Heilsam“ wird entweder pur verwendet oder mit Schweineschmalz, Butter oder Olivenöl und Bienenhonig zu einer Salbe vermengt.
Pechölbrennen kann man nämlich nicht bei jeder Wetterlage, sondern nur an sommerlichen Tagen bei einer Umgebungstemperatur von rund 25°C. Darunter ist der Stein zu kalt, was zur Folge haben würde, dass das Harz beim Herausrinnen in den Rillen erstarrt und innerlich im Meiler verbrennt. Um die vielen Sonnenstunden zu nutzen, wird daher meist rund um die Sommersonnenwende gebrannt.
Das altbewährte Hausmittel war früher in der Tier- und Volksmedizin weit verbreitet und kommt auch heute noch zum Einsatz. Beim Pferd wird es bis heute auf den Huf bei Strahlfäule aufgetragen. Bei Rindern, die auf der Alm an Larvenbefall leiden, wird es als Desinfektionsmittel für die betroffenen entfernten Hautteile verwendet.
In der Humanmedizin wird der Heilsam bei Quetschungen und als Zugsalbe bei Wunden verwendet, vor allem um Eiterungen zu verhindern. Außerdem wirkt es gemischt mit Lanolin bei Fersensporn, Rheuma, Gicht, Ischias und Gelenksentzündungen.
Erhältlich ist das heilsame Pechöl bei diversen Handwerks- und Bauernmärkten in der Region oder im Hofladen von Familie Thauerböck.
Mehr als 90 Pechölsteine zeugen von der alten Handwerkskunst im östlichen Mühlviertel. Aufmerksame Besucher stoßen bei Wanderungen in der Region auf diese Naturgebilde mit kulturhistorischem Wert oder erleben bei ausgewählten Veranstaltungen das alte Handwerk hautnah mit.
Im Jahr 2005 wurde in Elz ein Pechölwanderweg errichtet, der an den Elzer Pechölsteinen vorbeiführt und mit Schautafeln über das Pechölbrennen informiert. An besonders klaren Tagen bekommt man dabei auch wunderschöne Alpenblicke geschenkt.
Live erleben kann man das immaterielle Kulturgut nicht nur bei Familie Thauerböck, bei denen sich Interessierte gerne telefonisch oder per Mail melden können, sondern auch bei Schau-Pechölbrennen im Rahmen von Veranstaltungen und Dorffesten.
Die Böhmerwaldschule in Ulrichsberg bietet im Zuge des Naturschauspiels einen lehrreichen Workshop an: So ein Glück mit dem Pech - Pechsalbe selber rühren am Lagerfeuer. Dabei erfährt man nicht nur mehr über die Herstellung des Naturproduktes, sondern lernt wie das Hausmittel für Mensch & Tier nutzbar ist.